Mein Senf zu: Frauen Literatur
Sei gegrüßt.
Kennst du solche Bücher, die du in der Buchhandlung entdeckst, dann aber unsicher bist, ob du sie wirklich kaufen sollst?! Und dann schleichst du jedes Mal, wenn du wieder da bist um das Buch herum, wie ein Löwe um eine kranke Gazelle, unsicher, ob du wirklich zubeißen sollst? Mir ging es mit dem heutigen Buch „Frauen Literatur“ so.
Letztlich half mir mein Buchhändlerinnen-Status bei der Entscheidung, über Netgalley habe ich nämlich ein Leseexemplar vom Verlag bekommen. Und dann wollte ich es auch unbedingt lesen, wo ich es doch schon hatte. Und oh man…
Vielen Dank an Kiepenheuer & Witsch für das Leseexemplar!
Allgemeine Infos
Banal, kitschig, trivial – drei Adjektive, mit denen das literarische Schaffen von Frauen seit Jahrhunderten abgewertet wird. Während Autoren tausende von Seiten mit Alltagsbeschreibungen füllen und dafür gefeiert werden, wird Schriftstellerinnen, die Ähnliches unternehmen, Befindlichkeitsprosa vorgeworfen. Nicole Seifert ist angetreten, die frauenfeindlichen Strukturen im Literaturbetrieb aufzuzeigen. Denn von vielen von Frauen verfassten Büchern hören wir erst gar nicht, weil Zeitungs-, Radio- und Fernsehredaktionen und noch davor Buchverlage eine entsprechende Vorauswahl treffen. Vom Deutschunterricht bis zum Germanistikstudium ist der Autorinnenanteil noch immer verschwindend gering, und so lernen wir von Anfang an: Was literarisch wertvoll ist, stammt von Männern. Nachdem Nicole Seifert drei Jahre lang ausschließlich Literatur von Frauen – Klassiker wie Zeitgenössisches, Bekanntes wie Unbekannteres – gelesen hat, ist klar: Die vielbeschworene »Qualität« ist nicht das Problem. Im Gegenteil: Wir verpassen das Beste, wenn wir in unseren Bücherregalen nicht endlich eine Frauenquote einführen.
Titel | FRAUEN LITERATUR |
Untertitel | Abgewertet, vergessen, wiederentdeckt |
Autor*in | Nicole Seifert |
Verlag | Kiepenheuer & Witsch |
ISBN | 978-3-462-00236-2 |
Seiten | 224 |
Erscheinungsdatum | 09.09.2021 |
Preis | 18,- € (Hardcover) |
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Stand: 04.03.2022
Mein Senf
… wie sich das Lesen gelohnt hat!!!
Bezeichnend ist, dass es das Äquivalent „Männerliteratur“ gar nicht gibt.
–FrauenLiteratur, S. 11
Klar und prägnant legt Seifert erschreckende Tatsachen dar. Sie erläutert welche historisch gewachsenen Strukturen Autor*innen bis heute benachteiligen. Ich meine, vor 100 Jahren, ja, aber heute noch!? Beim Lesen wechselten meine Gefühle zwischen Unglaube und Wut hin und her.
Geschlechterklischees, die eigentlich längst überholt sein sollten, dominieren Besprechungen von Büchern – wenn denn überhaupt über das Buch und nicht über die Autor*in geschrieben wird. Unfassbar! Aber da hört es ja nicht auf. Es zieht sich durch die gesamte Literaturbranche, Autor*innen-Verträge, Literaturpreise und sogar z.T. Leser*innen.
Was mir besonders – ganz allgemein im Leben – zuwider ist, ist das messen mit zweierlei Maß. Mir war bisher gar nicht klar, dass das im Literaturbetrieb auch der Fall ist. Ich bin froh, nun klarer zu sehen.
Unterschiedlich bewertet werde selbst dann, wenn der Stoff im Grunde der gleiche sei. Zweierlei Maß, auch hier. Die Autorin Tanja Dückers brachte es in einem Beitrag für den Deutschlandfunk Kultur so auf den Punkt: „Endlose Abhandlungen über Potenz- und Prostataprobleme gelten jedes Jahr als nobelpreisverdächtig; wenn Autorinnen übers Kinderkriegen oder ihren Körper schreiben, wird dies schnell als ‚Menstruationsprosa‘ abgetan.“
–FrauenLiteratur, S. 133
Nicole Seifert schreibt dabei unglaublich fesselnd. Ich bin förmlich durch die Seiten geflogen und konnte das Buch kaum zur Seite legen. Das passiert mir bei Sachbüchern wirklich eher selten, egal wie interessant das Thema ist.
V.a. gefällt mir, dass Nicole Seifert weiß, dass sie allein mit ihrem Buch nichts ändern kann, dass sie auch gar nicht in der Absicht geschrieben hat, männliche Autoren herabzuwürdigen oder unsichtbar zu machen, wie sie es selbst an einer Stelle ausdrückt.
Und ich habe versucht, auf die häufigsten Einwände einzugehen. Wichtig war mir dabei vor allem, ein Bewusstsein für die Zusammenhänge zu schaffen.
–FrauenLiteratur, S. 176
Bei mir ist ihr das auf jeden Fall gelungen. Und auch meine Leseliste ist gewaltig gewachsen (s. Foto). Generell ist auch die ausführliche Auflistung der Quellen und erwähnten Bücher eine feine Sache. Ich empfehle übrigens, dass man sich jemanden sucht, der das Buch ebenfalls liest/gelesen hat. Es besteht Redebedarf nach der Lektüre.
Deine
Marina
(DarkFairy)
Seifert nimmt im Übrigen auch Stellenweise Bezug auf die Pilotstudie.