Mein Senf zu: Frauen schulden dir gar nichts

Sei gegrüßt.

Es ist irgendwie nett, wenn Verlagsvertreter*innen beim Besuch schon sagen: „Hey, Marina, Verlag XY hat ein richtig cooles Buch. Das wäre total was für dich, hab dir mal ein Leseexemplar aufgeschrieben.“ So ging es mir mit diesem Buch.
Und wirklich falsch lag die betreffende Vertreterin nicht. Es passt definitiv zu den Themen, mit denen ich mich viel beschäftige – und somit auch zum Blog.
Es passt aber auch zu den aktuellen gesellschaftlichen Themen, wodurch es sehr interessant für unseren Laden ist. Was natürlich auch der Grundgedanke des Verlages war…

Vielen Dank an den Kiepenheuer & Witsch Verlag für die Bereitstellung des Leseexemplars.

Allgemeine Infos

InhaltsangabeEckdatenAutor*in
Cover von "Frauen schulden dir gar nichts"Die zweiundzwanzigjährige Florence Given ermutigt ihre Leser*innen, sich von gesellschaftlichen Erwartungen freizumachen. Ob es um »pretty privilege«, Selbstliebe, »Catcalling« oder Enthaarung geht, Florence Given öffnet uns die Augen darüber, wie stark das Frauenbild in unserer Gesellschaft noch immer von Oberflächlichkeit und Sexismus geprägt ist, und was das für Frauen an Einschränkungen zufolge hat. Sie geht dabei alle Themen an, die heute wichtig und kontrovers diskutiert werden: Rassismus, Sexismus, queere Identitäten, Body Positivity, Online-Dating und toxische Männlichkeit. Ein feministischer Ratgeber (nicht nur) für junge Frauen.

Titel  Frauen schulden dir gar nichts
Autor*in  Florence Given
Übersetzer*in  Eva Horn & Kathrin Weßling
Verlag  Kiepenheuer & Witsch
ISBN  978-3-462-00167-9
Seiten  288
Erscheinungsdatum  10.03.2022
Preis  14,- €
Florence Given, 1998 geboren, ist eine in London lebende Künstlerin und Autorin, die vor allem aus den sozialen Medien bekannt ist. Ihre wiedererkennbaren, knalligen Illustrationen stehen für feministisches Empowerment. Über eine beeindruckende Follower*innenschaft auf Instagram macht sie auf Themen rund um Schönheitsideale, Gender und Sexualität aufmerksam.

Mein Senf

Hätte ich nach einem Buch-Beispiel für den Ausdruck „Himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt“ gesucht, hätte ich es hiermit gefunden.
Beim Lesen schwankte ich permanent zwischen „Oh wow, richtig gut, das Buch öffnet mir die Augen“ und „Ätzend, wie kann man nur so krass verallgemeinern?!“.

Ich versuche mal das näher auszuführen. Im wesentlichen beziehen sich Florence Givens (feministischen) Darlegungen in diesem Buch auf drei Kernbereiche: Selbstliebe, Beziehungen und Gesellschaft.

Den Bereich Gesellschaft und die Äußerungen dazu kann ich im Großen und Ganzen so unterschreiben. Mein Problem an mit der Autorin in diesem Bereich war eines, für das sie gar nichts konnte: Sie war nun mal die Botin schlechter Nachrichten – und die mag niemand.
Ich musste mich hier einfach den unbequemen Wahrheiten stellen, die auch mich betreffen. Internalisierte Misogynie z.B.. Mir war nie klar, was es bedeutet, wenn ich sage „Ich bin nicht wie andere Frauen“. Mir waren die unfassbare Verallgemeinerung, die Vorurteile und die Überheblichkeit, die hier mitschwingen einfach nie bewusst. Ich bin Florence Given und ihrem Buch aufrichtig dankbar dafür, dass es hier zu einem Umdenken und zu einer Selbstreflexion bei mir kam (und immer noch kommt – das ist ein Prozess, der nicht von Heute auf Morgen vollzogen ist).
Genauso spricht sie aber eben über Ursache und Wirkung struktureller Benachteiligung von Frauen (bzw. FLINTA).

Auch im Bereich Selbstliebe kann ich den meisten Aussagen i.d.R. nur zustimmen.
Hier zeigte sich aber auch bereits, dass ich scheinbar nicht mehr ganz die Zeitgruppe des Buches bin, da ich in meiner Persönlichkeit und v.a. meinem Selbstbewusstsein bzw. Selbstwertgefühl doch recht gefestigt bin. Ich habe das Gefühl, dass das Buch tatsächlich eher für (etwas jüngere) Frauen ist, die noch dabei sind, sich selbst zu finden. Mir kam es so vor, als spürte ich hier den Altersunterschied von 8 Jahren zwischen der Autorin und mir.
Allerdings muss ich natürlich auch festhalten, dass ein starkes Selbstwertgefühl nicht automatisch mit der Zeit kommt, sondern dass man aktiv daran arbeiten muss – und zwar ein Leben lang. Das macht Florence Given ebenfalls deutlich. So konnte auch ich hier noch durchaus das ein oder andere für mich mitnehmen.

Schwierig war für mich vor allem aber der Bereich Beziehungen. Hier verallgemeinert die Autorin oft sehr stark. Es entsteht der Eindruck, dass ihrer Meinung nach heterosexuelle Beziehungen gar nicht gut sein können, da ja ein heterosexueller cis Mann beteiligt ist.
Ich meine, die Autorin schrieb an einer Stelle sie hätte, als sie das Buch schrieb eine längere hetero Beziehung hinter sich. (Leider habe ich mir die Stelle nicht markiert und finde sie daher nicht mehr. Als Zitat ist diese Aussage wohl mindestens kritisch zu betrachten.) Aber wie kann man denn von einer Beziehung ausgehend gleich alle weiteren von vorneherein verdammen. Das ist doch genau das, von dem Florence Given selbst sagt, dass wir damit aufhören sollen: „Hör auf Mutzumaßen“ (Kapitel 18, S. 232 ff.). Sie schreibt besipielsweise über hetero-Beziehungen folgendes:

Wenn arbeitende Frauen in einer heterosexuellen Partnerschaft von der Arbeit nach Hause kommen, beginnt ihre „zweite Schicht“.
Die besteht aus Hausarbeit, emotionaler Unterstützung ihrer „besseren Hälfte“ und daraus, die Bedürfnisse aller anderen über die eigenen zu stellen, kurz: Care-Arbeit.

–  S.227;  Frauen schulden dir gar nichts

Also. Ich bin eine arbeitende Frau in einer heterosexuellen Partnerschaft. Wenn ich von der Arbeit nach Hause komme, hat mein Mann i.d.R. gespült und gekocht – oder ist gerade dabei. Wenn ich einen miesen Tag hatte, packt er mich aufs Sofa, überlässt mir komplett die Wahl, was wir schauen (oder ob wir überhaupt was schauen oder was ganz anderes machen) und fragt, was er mir Gutes tun kann. Wenn er einen miesen Tag hatte, tue ich das für ihn. Die Hausarbeit teilen wir, die emotionale Unterstützung beruht auf Gegenseitigkeit.
Meiner Meinung nach haben arbeitende Frauen aus dem obigen Zitat nicht das Problem, dass ihr Partner ein heterosexueller Mann ist, sondern einfach, dass ihr Mann ein Arsch ist – und dieses Recht haben Männer meiner Erfahrung nach nicht völlig für sich allein gepachtet.

Es sind solche Verallgemeinerungen, die ich hasse wie die Pest, was das Buch zwischendurch wirklich zu einem Aufreger für mich machte. Ich muss Florence Given dabei aber zu Gute halten, dass sie die Themenbereiche nicht starr voneinander abgrenzt, sondern immer wieder miteinander verknüpft und fließend vom einen zum anderen übergeht, wodurch es nie zu lange Passagen waren, die mich ärgerten. Ihr Schreibstil ist locker, dabei aber auch knallhart und vor allem echt.
Richtig gut finde ich, dass sie immer wieder auch ihre eigenen Privilegien (als weiße, normschöne Frau) kritisch hinterfragt und beleuchtet. Generell spricht mich die Thematisierung von Privilegien an. Sie geht außerdem auch immer wieder auf marginalisierte Gruppen verschiedenster Ausprägung ein und konzentriert sich nicht nur darauf, dass sie als Frau und queere Person unterdrückt wird.

Alles in Allem ist „Frauen schulden dir gar nichts“ ein durchaus gutes Buch, aber mit deutlichem Aufregungs- und somit Verbesserungspotential. Feministisch ist das Buch in jeden Falle, allerdings stark geprägt von den persönlichen Erfahrungen der Autorin. Wer sie vielleicht schon kennt (ich kannte sie nicht) und mag, dem wird definitiv auch das Buch gut gefallen. Wer allerdings lieber etwas Allgemeineres (im Sinne von weniger Persönlich gefärbt) lesen möchte, dem sei vielleicht eher eine andere Lektüre empfohlen.

Deine
Marina
(DarkFairy)

______
Hat dir mein Beitrag gefallen?
Ich würde mich freuen, wenn du ihn teilst: