Mein Senf zu: Total irre
Sei gegrüßt.
Der Klappentext klang so gut, das Buch musste ich einfach lesen. Ich meine, das sind doch genau meine Themen – zumindest ein Großteil davon – und die alle zusammen in einem Buch. Zum Glück hatten wir es als Leseexemplar im Laden, sodass ich gleich nach Erscheinen los lesen konnte. Nach wanderte es dann zu meiner Kollegin weiter, die es auch lesen wollte. Ich sag’s ja: Buchhändlerin sein, ist schon praktisch, wenn man gerne liest ;-)
Allgemeine Infos
Titel | Total irre |
Autor*in | Jutta Nymphius |
Illustrator*in | Irmela Schautz |
Verlag | Tulipan |
ISBN | 978-3-86429-548-5 |
Seiten | September 2022 |
Erscheinungsdatum | 152 |
Preis | 15,- € (Hardcover) |
Stand: 09.10.2022
Mein Senf
Am besten gefallen haben mir die Tier-Infos, die am Anfang jedes Kapitels stehen und mal mehr, mal weniger Bezug zu demselben haben. Das sagt vermutlich schon sehr viel über meine Meinung zu dem Buch, oder? Du hättest es gerne etwas differenzierter? Gerne.
Ich hätte nicht gedacht, dass man zu viel Diversity in einer Geschichte haben kann, aber hier ist das leider tatsächlich der Fall. Nicht falsch verstehen: Es ist cool und super wichtig Diversität reinzubringen, aber vielleicht sollte man sich auf einen Themenbereich beschränken, wenn man eine Geschichte von nur rund 150 Seiten schreibt. Sonst kann schnell sowas passieren, wie bei „Total irre“: Alles wird irgendwie angerissen, geht aber kaum in die Tiefe. Schlimmer noch: Im Falle das Patenonkels, der trans* ist, liest sich das Buch so, als würde die Problematik nicht ernstgenommen. Es fühlt sich an, als würde man sich über den Onkel bzw. die Tante lustig machen.
Soweit ich weiß, ist es so: Trans*Personen wechseln nicht täglich ihren Namen. Es scheint vielleicht, als hätte die betroffene Person „sich noch nicht entschieden, ob sie Mann oder Frau ist“ (sinngemäß nach dem Buch bzw. Klappentext), aber i.d.R. spüren die Betroffenen es recht deutlich, haben sich nur vielleicht noch nicht geoutet.
Die Darstellung des Patenonkels ist mir demnach wirklich sauer aufgestoßen. Ich fühlte mich nicht gut dabei, die entsprechenden Stellen zu lesen – und ich bin nicht betroffen. Ich glaube nicht, dass man hier von gelungener Repräsentation sprechen kann.
Insgesamt wird die Geschichte etwas besser gegen Ende, das muss ich zugeben, aber die Hauptfigur ist einfach… grrr. Ja, Karli macht eine Charakterentwicklung durch, ABER diese ist aufgesetzt und erzwungen. Da passiert also etwas, das seine „Ansichten komplett über den Haufen wirft“ und plötzlich versteht er alles?! Come on! Das kann kaum davon ablenken, dass der Kerl den empathischen Horizont einer Kartoffel besitzt. Auch wenn er in der Pubertät ist, entschuldigt das nicht, dass er sich wie ein komplettes Arschloch benimmt – und zwar so ziemlich jedem gegenüber.
Nichts an der Geschichte wirkt real, alles ist überzeichnet, überdreht, eben total irre. Gerade für Leser*innen ab 11 Jahren (wie der Verlag sein Buch einstuft) hätte ich mir mehr… Realität, Ernst und Fokus gewünscht. Aber vielleicht ist das auch einfach eine zu „erwachsene“ Sichtweise. Vielleicht reicht für Kinder diesen Alters ja die Wandlung gegen Ende, um zu zeigen, dass es so etwas wie „normal“ nicht gibt, und das jeder gut ist, so wie er ist. Vielleicht reicht dieser kleine Absatz auf Seite 122/123, um zu einer Erkenntnis in Sachen Empathie zu führen.
„Vielleicht“ finde ich aber zu schwach, wenn es um Diversität geht. Ich bin mir sicher, dass das besser geht, auch für Kinder. Ich habe z.B. schon mal Bilderbücher vorgestellt, die das um Längen besser hinbekommen: hier oder hier nämlich. Diversität hat viele verschiedene Gesichter und ist so wichtig, dass man zumindest durch eine Fokussierung der Thematik Rechnung tragen könnte. Hier wollte man einfach zu viel auf einmal.
Deine
Marina
(DarkFairy)