Mein Senf zu: Die Lüge

Sei gegrüßt.

Manchmal entdeckt man Bücher, wo man zwar denkt „Joa, das klingt schon gut“, wo man dann aber doch überrascht ist, wie gut es letztlich wirklich ist. Ich wollte „Die Lüge“ gerne lesen, weil die Handlung toll klang. In keinster Weise habe ich vorher damit gerechnet, hier auf eines meiner bisherigen Jahreshighlights zu stoßen.

Vielen Dank an den Hoffmann und Campe Verlag für die Bereitstellung eines Leseexemplars.
Die Rezension gibt natürlich dennoch meine ehrliche Meinung wieder.

Allgemeine Infos

InhaltsangabeEckdatenAutor*in
Mikita wird nach dem Tod seiner Mutter von ihrem Bruder adoptiert, er ist fünf Jahre alt. Mit Slawa und dessen Partner Lew genießt er eine fröhliche Kindheit. Aber mit der Einschulung beginnt das Versteckspiel, das Lügen. Wenn Besuch kommt, müssen Fotos weggeräumt, in Aufsätzen müssen Dinge verschwiegen oder erfunden werden, und Mikita schlagen Vorurteile entgegen. Er verliert seinen Frohsinn, wird wütend, aggressiv, depressiv.
Erst die Freundschaft mit einem Jungen aus dem Waisenhaus beruhigt ihn. Und dann merkt er, dass er sich zu Jungs hingezogen fühlt. Ausgerechnet! Er beschuldigt sich, zum Beweis für die Propaganda geworden zu sein, die behauptet, gleichgeschlechtliche Paare würden homosexuelle Kinder großziehen. All seine Versuche, sich in Mädchen zu verlieben, scheitern. Es wird noch dauern, bis Mikita Frieden mit sich selbst und seiner Sexualität findet.

– Klappentext
Titel  Die Lüge
Autor*in  Mikita Franko
Übersetzer*in  Maria Rajer
Verlag  Hoffmann und Campe
ISBN  978-3-455-01367-2
Seiten  383
Erscheinungsdatum  03.05.2022
Preis  24,- €

Stand: 16.06.22, 19:21 Uhr

Mikita Franko wurde 1997 in Pawlodar, Kasachstan, in eine Familie geboren, die seit Generationen Ärzte hervorbringt. Im Alter von drei Jahren hat er lesen gelernt, mit vier schreiben. Seither liest und schreibt er. Franko hat das Medizinstudium schnell an den Nagel gehängt und versteht sich als Akyn, als einen kasachischen Volksdichter, der politische Themen verhandelt. Er sagt von sich selbst, er ertrage keine Langeweile, was ihn zwinge, sich dauernd etwas einfallen zu lassen. Er schreibt über alles, was er sieht. Zurzeit lebt Mikita Franko in Moskau.

Verlagsangabe (Stand: 16.06.22, 19:23 Uhr)

Mein Senf

Okay, wow. Was für ein Buch!
Am Mittwoch vor Fronleichnam habe ich mit der Lektüre begonnen und immerhin ca. 60 Seiten gelesen. Den Rest dann am Feiertag. Schon lange hatte ich kein Buch mehr, dass ich so in einem Schwung gelesen hätte.

„Die Lüge“ ist ein unfassbar wichtiges Buch – und zwar auf verschiedenen Ebenen. Es beleuchtet einmal das Leben queerer Menschen im (mehr oder weniger) heutigen Russland, legt dar wie groß der Einfluss der Gesellschaft auf die Sozialisierung und Charakterbildung ist und thematisiert auch noch psychische Erkrankungen.
Dabei ist die Geschichte einfach nur wunderschön geschrieben – sehr einfühlsam und echt.

Die Geschichte macht deutlich, dass man nicht am Geschlecht erkennen kann, ob es gute Eltern sind oder nicht. Es heißt ja von homophoben Menschen immer, zwei Männer könnten kein Kind erziehen, aber Slawa und Lew gelingt das ganz gut. Sie sind fürsorglich und immer für Mikita (ja, wie der Autor. Ich glaube das Buch ist zumindest zu Teilen autofiktional) da.
Aber liebende Eltern alleine reichen bei der Sozialisierung und Charakterbildung eines Kindes eben auch nicht. „Man braucht ein ganzes Dorf“, sagt der Volksmund und ich glaube da ist auch was dran. In „Die Lüge“ zeigt sich der starke gesellschaftliche Einfluss besonders deutlich, denn obwohl Mikita bei einem homosexuellen Paar aufwächst und seine beiden Väter liebt, wird er zunehmend homophob.

„Die Lüge“ ist eine eindringliche und aufrüttelnde Schilderung, war queere Kinder und Teenager in unserer nach wir vor konservativen und zu Teilen homophoben Gesellschaft durchmachen müssen. Selbstzweifel und Selbsthass bis hin zu psychischen Erkrankungen wie Depressionen können Folgen sein, wenn man permanent versteckt und unterdrückt, wer man wirklich ist.
Ein gelungener Einschub zeigt im Übrigen auf, dass an psychischen Erkrankungen und deren Behandlung überhaupt nichts schlimmes ist:

Ich wollte nichts nehmen, was mein Bewusstsein veränderte. Ich unternahm ein paar Versuche, mich zu weigern, und Slawa hatte fast schon zugestimmt, aber Lew sagte: „Soweit ich weiß, behandelt man Krankheiten mit Medikamenten.“

– S. 260, Die Lüge – Mikita Franko

Alles in allem ist „Die Lüge“ ein grandioses Buch. Toll geschrieben, wichtige Thematik(en). Ich kann dir gar nicht sagen was alles, wieso so toll war. Es ist einfach ein grandioses Buch. Lies es. Weil… einfach alles!

Deine
Marina
(DarkFairy)

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