Mein Senf zu: Die Lüge
Sei gegrüßt.
Manchmal entdeckt man Bücher, wo man zwar denkt „Joa, das klingt schon gut“, wo man dann aber doch überrascht ist, wie gut es letztlich wirklich ist. Ich wollte „Die Lüge“ gerne lesen, weil die Handlung toll klang. In keinster Weise habe ich vorher damit gerechnet, hier auf eines meiner bisherigen Jahreshighlights zu stoßen.
Vielen Dank an den Hoffmann und Campe Verlag für die Bereitstellung eines Leseexemplars.
Die Rezension gibt natürlich dennoch meine ehrliche Meinung wieder.
Allgemeine Infos
Erst die Freundschaft mit einem Jungen aus dem Waisenhaus beruhigt ihn. Und dann merkt er, dass er sich zu Jungs hingezogen fühlt. Ausgerechnet! Er beschuldigt sich, zum Beweis für die Propaganda geworden zu sein, die behauptet, gleichgeschlechtliche Paare würden homosexuelle Kinder großziehen. All seine Versuche, sich in Mädchen zu verlieben, scheitern. Es wird noch dauern, bis Mikita Frieden mit sich selbst und seiner Sexualität findet.
Titel | Die Lüge |
Autor*in | Mikita Franko |
Übersetzer*in | Maria Rajer |
Verlag | Hoffmann und Campe |
ISBN | 978-3-455-01367-2 |
Seiten | 383 |
Erscheinungsdatum | 03.05.2022 |
Preis | 24,- € |
Stand: 16.06.22, 19:21 Uhr
Mein Senf
Okay, wow. Was für ein Buch!
Am Mittwoch vor Fronleichnam habe ich mit der Lektüre begonnen und immerhin ca. 60 Seiten gelesen. Den Rest dann am Feiertag. Schon lange hatte ich kein Buch mehr, dass ich so in einem Schwung gelesen hätte.
„Die Lüge“ ist ein unfassbar wichtiges Buch – und zwar auf verschiedenen Ebenen. Es beleuchtet einmal das Leben queerer Menschen im (mehr oder weniger) heutigen Russland, legt dar wie groß der Einfluss der Gesellschaft auf die Sozialisierung und Charakterbildung ist und thematisiert auch noch psychische Erkrankungen.
Dabei ist die Geschichte einfach nur wunderschön geschrieben – sehr einfühlsam und echt.
Die Geschichte macht deutlich, dass man nicht am Geschlecht erkennen kann, ob es gute Eltern sind oder nicht. Es heißt ja von homophoben Menschen immer, zwei Männer könnten kein Kind erziehen, aber Slawa und Lew gelingt das ganz gut. Sie sind fürsorglich und immer für Mikita (ja, wie der Autor. Ich glaube das Buch ist zumindest zu Teilen autofiktional) da.
Aber liebende Eltern alleine reichen bei der Sozialisierung und Charakterbildung eines Kindes eben auch nicht. „Man braucht ein ganzes Dorf“, sagt der Volksmund und ich glaube da ist auch was dran. In „Die Lüge“ zeigt sich der starke gesellschaftliche Einfluss besonders deutlich, denn obwohl Mikita bei einem homosexuellen Paar aufwächst und seine beiden Väter liebt, wird er zunehmend homophob.
„Die Lüge“ ist eine eindringliche und aufrüttelnde Schilderung, war queere Kinder und Teenager in unserer nach wir vor konservativen und zu Teilen homophoben Gesellschaft durchmachen müssen. Selbstzweifel und Selbsthass bis hin zu psychischen Erkrankungen wie Depressionen können Folgen sein, wenn man permanent versteckt und unterdrückt, wer man wirklich ist.
Ein gelungener Einschub zeigt im Übrigen auf, dass an psychischen Erkrankungen und deren Behandlung überhaupt nichts schlimmes ist:
Ich wollte nichts nehmen, was mein Bewusstsein veränderte. Ich unternahm ein paar Versuche, mich zu weigern, und Slawa hatte fast schon zugestimmt, aber Lew sagte: „Soweit ich weiß, behandelt man Krankheiten mit Medikamenten.“
– S. 260, Die Lüge – Mikita Franko
Alles in allem ist „Die Lüge“ ein grandioses Buch. Toll geschrieben, wichtige Thematik(en). Ich kann dir gar nicht sagen was alles, wieso so toll war. Es ist einfach ein grandioses Buch. Lies es. Weil… einfach alles!
Deine
Marina
(DarkFairy)