Mein Senf zu Zeitungsartikeln aus dem General Anzeiger Bonn

Sei gegrüßt.

Heute habe ich einen etwas anderen Blogbeitrag. Eigentlich ist es nämlich gar kein Blogbeitrag sondern ein Brief. Genauer ein Leserbrief, den ich so auch der Zeitung schicke, auf deren Artikel ich mich beziehe.
Aber von vorne: Letzte Woche Dienstag (am 31.01.) entdeckte ich auf der Titelseite des Bonner General Anzeigers (GA) einen kurzen Hinweis zu einem Artikel im Inneren, der mich sofort interessierte. Es hatte wohl jemand aus Bonn (der im Brief erwähnte Herr Haßelkus) beim Schulministerium um einen Leitfaden in Karnevalskostüm-Fragen gebeten, weil da ja immer wieder einige Kostüme diskutiert würden und man ganz verunsichert sei, was jetzt noch okay ist und was nicht.
Das ist ein Thema, das mich schnell empört und wütend macht – und zwar nicht, weil da irgendwer Kostüme verbieten will, sondern weil keiner einsehen will, dass diese Kostüme rassistisch sind. Ich las den Artikel und war wirklich – wirklich! – angepisst. Ich konnte und wollte (!) hier einfach nicht zu schweigen, daher mein Brief:

Ich möchte im folgenden Stellung nehmen zu Ihrem Artikel „Waffen und Vermummung sind tabu“ sowie zu dem dazugehörigen Kommentar „Auf den Index?“ von Lisa Inhoffen vom Dienstag den 31.01.23. Außerdem möchte ich kurz Ihre Artikel Serie von darauffolgenden Wochenende kommentieren.

Es macht mich wütend und fassungslos, wie rücksichtslos und bar jedes Verständnisses gegenüber indigenen Menschen diese beiden Texte sind. Es beginnt schon mit der ständigen Wiederholung des I-Wortes, welches rassistisch und kolonialistisch ist, und von dem Betroffene sich wünschen, dass es nicht mehr benutzt wird.
Niemals würden Sie in Ihrer Zeitung einen Artikel abdrucken, in dem äquivalent oft das N-Wort für dunkelhäutige (EDIT: würde ich heute nicht mehr schreiben; ich habe gelernt „Schwarz“ großgeschrieben ist die bevorzugte Bezeichnung) Menschen genutzt wird, da bin ich sicher. Wieso fällt es dann bei dem I-Wort so leicht es zu nutzen? An mangelnden Alternativen kann es nicht liegen.

Veränderung und gesellschaftlicher Wandel ist immer ein Lernprozess. Ein Lernprozess braucht Zeit. Er braucht aber eben auch Bereitschaft. Bereitschaft zuzuhören. Dass wir das N-Wort nicht mehr nutzen und uns zu Karneval nicht schwarz anmalen, hat sich mittlerweile weitestgehend durchgesetzt. Die meisten haben es verstanden – in der Mehrheit jüngere Menschen, was auf den stattfindenden Wandel innerhalb der Gesellschaft hindeutet. Wir haben zugehört.

Betroffene sollten immer zum Thema Rassismus gehört werden.
Aber hier ist es so: Sie schreiben,dass man über Rassismus und kulturelle Aneignung sprechen muss, aber dann bestimmen Sie, in welchen Bereichen. Sie legen fast, dass ein I***-Kostüm ja nicht rassistisch ist, sondern zum deutschen Karnevalsbrauchtum, ja damit sogar zur Kultur, eben dazugehört.
Nur weil etwas einer Tradition folgt, weil es „schon immer so gemacht wurde“ heißt das nicht, dass es richtig ist. Das Argument „Das haben wir immer schon so gemacht“ ist kein Argument. Es ist pure Ignoranz einer Entwicklung und Weigerung sich selbst mitzuentwickeln.

Ein weiteres Argument, dass kaum gelten kann, wenn es um Karnevalskostüme geht, ist die Aussage von Herrn Haßelkus: „Waren der Fantasie bisher kaum Grenzen gesetzt, so haben allerdings neuerdings die Debatten über Rassismus, Sexismus und Diversität in vielen Familien, aber auch in Schulen und Kitas große Verunsicherung ausgelöst, was an Kostümen gesellschaftlich noch akzeptabel ist“.
Zunächst einmal kann man wohl kaum davon sprechen, dass die Fantasie eingeschränkt wird, weil eine handvoll Kostüme von der Bildfläche verschwindet. Es zeugt nicht von viel Fantasie einfach ein x-beliebiges Kostüm von der Stange zu kaufen. Schlimmer steht es um die Fantasie dann nur, wenn man sich nicht mehr verkleiden kann, weil das eine Kostüm fehlt – neben den hunderten anderen. Wir haben eine so große Bandbreite an möglichen Kostümen: Obst, Gemüse, Gegenstand, Gefühl, Tier, Beruf. Oder auch fiktive Figuren, wie Batman, den sie selbst erwähnen. Kürzlich erzählte mir jemand, sie gehe an Karneval als Papiertüte. Na bitte, das ist kreativ!
Der zweite Punkt, den er anspricht ist die Verunsicherung. Meine persönliche Faustregel: Wenn du dir unsicher bist, ob das angemessen ist oder nicht: Lass es einfach sein. Ganz einfach immer und überall anwendbar.
Kann ich im pinken Rüschen-Kleid auf die Beerdigung gehen? Hmm, könnte komisch kommen. An Karneval als Native verkleiden? Auch wenn ich vielleicht (noch) nicht verstehe, was daran rassistisch ist, lasse ich es lieber.

Sie hätten einen tollen Artikel schreiben können. Sie hätten vielleicht Betroffene einbeziehen können, Sie hätten sich informieren können, aber Sie haben sich entschieden, lieber ständig eine kolonialistische Fremdbezeichnung zu wiederholen und allen, die keine Lust haben, sich mit der Thematik auseinanderzusetzen, eine Legitimation dafür zu geben. Genau wie Herr Szmala es sagt: „Wir sind eine Schule gegen Rassismus. […] Wenn Kinder im I***-Kostüm kommen, akzeptieren wir das.“ Beides geht nicht.
Entweder kämpfe ich gegen jede Art von Rassismus oder ich ignoriere, was Betroffene sagen und mache, was mir gefällt.

Natürlich möchte sich niemand damit auseinander setzen, vielleicht selbst rassistischen Denkmustern unterworfen zu sein. Es ist anstrengend und tut weh, ich weiß das. Aber wir müssen uns klar machen, dass das ein strukturelles Problem und nicht das Problem einzelner ist. Wir müssen aufhören, darüber zu reden, dass wir uns nicht den Mund verbieten lassen wollen, sondern vielleicht freiwillig einfach mal still sein und zuhören. Niemand verbietet hier etwas.
Ich habe noch von keinem Native gehört oder gelesen: „Wir verbieten, dass ihr dieses Wort benutzt.“ Es ist immer eine Bitte. Eine Bitte, in der Regel, verbunden mit einer Erklärung, warum das Wort nicht mehr genutzt werden sollte.
Darum ist auch Ihre Überschrift „Auf den Index?“ schlecht gewählt, Frau Inhoffen.
Sie schlägt in die gleiche Kerbe, wie die vorwiegend im rechten sowie Verschwörungs-Milieu vorherrschende Formulierung „Man wird ja immer zensiert!“. Auf der einen Seite haben wir staatlich bzw. gesetzlich geregelte Bereiche (Zensur bzw. Index) auf der anderen einfach nur Menschen, die sich für mehr Gleichberechtigung und weniger Diskriminierung einsetzen („Bitte benutzt nicht dieses Wort, es ist rassistisch, weil…“).

Dass das Thema polarisiert und auch für Sie noch nicht ruhen konnte, zeigt sich in der vergangenen Wochenendausgabe. Aber wieder haben Sie es versäumt die Rassismusdebatte mit Betroffenen zu führen. Stattdessen ist es wieder einmal ein weißer Mann, der uns erklären soll, wie Natives sich fühlen. Ich möchte unbedingt klar stellen, dass ich nichts gegen Herrn Martin Booms persönlich habe.
Es ist sowieso viel mehr der Interviewer Herr Kliemann, also wieder Ihre Zeitung, die hier besonders negativ auffällt.
Bereits in der ersten Frage werden kolonialistische Begriffe und Klischees in den Ring geworfen.
Später wird das verkleiden als Bayer, als kulturelle Aneignung verkauft. Darüber können wir reden, wenn den Bayern Jahrzehnte lang verboten wird, ihre Kultur auszuleben, wenn sie getötet werden und der Bayrische Wald von Rheinländern, die sich ja „die Kultur aneignen“, eingenommen wird und wenn die Bayern auch lange Jahre danach dann noch immer von Diskriminierung und Rassismus betroffen sind.
Das Foto von Herrn Friedrich samt Gattin ist hier außerdem mehr als deplatziert – vor allem, da es außer durch die Kostümierung noch weiter zu polarisieren, rein gar nichts mit dem Text zu tun hat.

Abschließend kann ich Sie nur darum bitten, in Zukunft mehr Acht zu geben. Bitte legitimieren Sie nicht rassistisches Handeln und Denken mit Ihren Artikeln oder Kolumnen. Informieren Sie sich und sprechen Sie mit Betroffenen.
Für den Anfang kann ich Ihnen den Instagram-Account @keinkostuem für die Erklärung, warum diese Kostüme nicht mehr benutzt sollten, empfehlen.
Dazu auch sehr schön, kurz und knackig, zwei Reels auf Instagram von Britta Kiwit alias @avalino.diversity: https://www.instagram.com/p/CaR787EjovW/ und https://www.instagram.com/p/CahfE0xDLaz/ .
Und falls Sie eher analog unterwegs sind: Das Kinderbuch „Als wir allein waren“ von David A. Robertson und Kulie Flett ist ebenfalls sehr empfehlenswert.

Rassismus ist niemals eine Meinung und fällt nicht in die Kategorie „das wird man ja wohl noch sagen dürfen“.

Tja, das ist also mein Leserbrief. Es ist das erste Mal, dass ich einen Leserbrief schreibe, aber es war mir einfach wichtig. Und da ich nicht davon ausgehe, dass der Text veröffentlicht wird, möchte ich ihn aber hier teilen. Die Artikel des GA verlinke ich bewusst nicht, da ich nicht auch noch zusätzliche Klicks generieren möchte, aber es hindert dich natürlich niemand daran diese selbst rauszusuchen. Allerdings sind sie, glaube ich, online alle hinter einer Bezahlschranke.

Deine
Marina
(DarkFairy)

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Stand der Links: 08.02.2023, 17:49 Uhr

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