Mein Senf zu: Egal war gestern

Sei gegrüßt.

Nächste Woche Sonntag ist Bundestagswahl. Der Ausgang der Wahl bereitet mir wirklich Sorgen. Aktuell beobachten wir überall auf der Welt – und eben auch hier in Deutschland – eine Verschiebung der Grenzen des Sagbaren. Ich möchte es eigentlich keinen Rechtsruck nennen, das ist schon eher ein ordentlicher Stechschritt nach rechts, aber der Begriff ist landläufig in Nutzung.
Wie sich Populismus und ein solcher Rechtsruck im Schul- und Kleinstadtumfeld ausprägen und -wirken kann, dazu habe ich heute einen guten und wichtigen Buchtipp.

Allgemeine Infos

InhaltsangabeEckdatenAutor*in
Cover des Buches "Egal war gestern". Der Hintergrund ist blau. Es ist eine Art Bleistiftzeichnung (also schwarz-weiß und mit Schraffur) eines Kindes zu sehen, das ein rotes Smartphone hochhält.Alle in der Schule kennen Finn und Lennard wegen der witzigen Videos, die sie auf ihrem Social-Media-Kanal posten. Die beiden checken akribisch ihre Clicks und Follower und träumen davon, berühmt zu werden. Alles läuft super, bis sie einen Deal mit Sam machen, einer Schülerin, deren Eltern aus Angola stammen. Der Plan, sich gegenseitig zu pushen und die Reichweiten zu erhöhen, funktioniert sofort – doch ganz anders, als Finn es erwartet hat: Urplötzlich bricht ein Shitstorm über seinen Account herein. Hasskommentare statt Lach-Emojis. Einzig und allein, weil er Posts von Sam geliked hat. Gleichzeitig registriert Finns Vater, Lehrer an der Schule seines Sohnes, wie rassistische, antidemokratische Äußerungen salonfähig werden. Nicht nur im Klassenchat, auch in der Stadt, in der gerade ein rechtspopulistischer Kandidat für das Bürgeramt kandidiert. Als er die Situation in einem Brandbrief beklagt, steht er plötzlich selbst am Pranger. Und mit ihm Finn…

Klappentext
Titel Egal war gestern
Untertitel
Autor*in Isermeyer, Jörg
Illustrationen von
Übersetzung
Verlag Peter Hammer Verlag
ISBN 978-3-7795-0748-2
Seiten 206
Erscheinungsdatum 12.08.2024
Preis (D) 14,90 €
Stand: 27.01.25, 12:02 Uhr
Jörg Isermeyer, geboren 1968 in Bad Segeberg, reiste als Straßenmusiker quer durch Europa. Nach seinem Studium zog er die freie Künstlerlaufbahn einer Universitäts-Karriere vor und lebt heute als Schauspieler, Regisseur, Theaterpädagoge, Musiker und Schriftsteller in Bremen. Seine Bücher und Theaterstücke wurden mehrfach ausgezeichnet, u.a. dreimal mit dem Leipziger Lesekompass.

Verlagsangabe online (Stand: 27.01.25, 12:05 Uhr)

Mein Senf

Ich habe es oben ja bereits angedeutet, aber das Buch ist wirklich mehr als aktuell. Anders als viele andere Jugendbücher liegt der Fokus hier nicht auf Rassismus und seinen Folgen – was natürlich schon mit reinspielt und auch Auslöser für einige Handlungsteile ist – sondern eher auf der anderen Seite. Es wird sich darauf konzentriert, wie rechtes Gedankengut immer salonfähiger wird, wie die Grenze des sagbaren verschoben wird und wie Populismus in Debatten Einzug hält.
So ist die Hauptfigur Finn zwar etwas kleiner als die anderen Kinder seines Alters, aber ansonsten sehr privilegiert: er ist weiß, cis-männlich und lebt mit beiden seiner Eltern in einem Einfamilienhaus in einer Kleinstadt. Der Vater ist Lehrer, verdient also nicht unbedingt schlecht, ob oder wenn ja was die Mutter arbeitet, weiß ich gar nicht mehr, da es für die Geschichte eine Rolle spielte…
Jedenfalls hat Finn gute Voraussetzungen für ein gutes Leben und bis zu dem im Klappentext oben erwähnten Deal mit Sam lebt er ein tuttifrutti Leben und hat von Rassismus und rechtem Gedankengut kaum eine Ahnung.

Was mit zunehmenden Hasskommentaren auf Sozial Media beginnt, bleibt nicht lange nur digital. Ein Mitschüler setzt ihm zu, sowohl verbal als auch mit Hass-Videos, die er Finn unerwünscht ins Gesicht hält. Aus Finns Reifen wird Luft abgelassen und es wird alles noch heftiger, nachdem sein Vater den Brandbrief in der Zeitung schreibt.
Es wird im Laufe des Buches deutlich gemacht, wie vernetzt Rechte/Nazis sind. Es werden nicht nur „digitale Mobs“ gebildet, sondern auch Offline organisieren Rechte sich in Netzwerken, die leider von außen oft nicht leicht durchschaubar oder erkennbar sind. Gleich und Gleich gesellt sich eben gern. Dass das aber brandgefährlich sein kann, wird im Buch ebenfalls angedeutet.

Die Legitimation der Videos und Bilder, die in der Schule kursieren, liefert wie auch im echten Leben die Politik. Die eindeutig rechtspopulistische Partei WiR (= Wähler im Recht) macht sehr viel Werbung vor der Bürgermeisterwahl im Ort. Auch wenn es nirgendwo erwähnt wird, ist klar, dass WiR ein reales Vorbild hat. Sagen wir mal so: Die Farben des Covers sind sicher nicht zufällig gewählt…

Mir gefällt am Buch, dass es auch eine obligatorische Tante – und nicht der Klischee-Onkel – gibt, die die Partei WiR eigentlich ganz gut findet, die die Gefahren eben nicht sieht. Leider wird die Möglichkeit für einen Dialog hier nur in Ansätzen genutzt. Mensch hätte sicher mehr daraus machen können.
Außerdem mochte ich das Ende wirklich sehr: Bei allem Negativen zeigt sich doch am Ende noch, dass mensch etwas entgegensetzen kann – z.B. die Demos am vorletzten Wochenende. Das wir noch die Chance haben schlimmeres zu verhindern. „Egal war gestern“ und nie wieder ist jetzt!

„Egal war gestern“ ist ein aufwühlendes und aufrüttelndes Buch für Leser*innen ab 12 Jahren.
Es kommen beklemmende Gefühle und Wut auf, die es aber braucht bei diesem Thema. Letztlich wird mensch aber damit nicht allein gelassen. Das Ende macht Hoffnung und gibt positive Anregungen für die Realität. Absolut lesenswert, besonders in diesen Zeiten!

Deine
Marina
(DarkFairy)

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